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Eine dunkle Begierde

Gerade wenn das Kino daran geht eines der Grundthemen des Films, die Psychoanalyse und ihre Pioniere – allen voran Freud – auf die Leinwand zu bringen, kommen dabei seltsame Werke heraus (Freud, Mahler auf der Couch, Und Nietzsche weinte, etc.). Dort wird drauf los fabuliert, Traumsequenzen wechseln sich mit filmischen stream-of-consciousness ab, bis der Zuschauer nicht mehr weiß, wo ihm selbst der Kopf steht. Anders bei David Cronenberg der einer der Meister darin ist, die Psyche filmisch aufzudecken. In seinen letzten Filmen wird dabei die Handlung zunehmend ins Innere der Figuren verlegt. Sichtbar sind nur noch die stärksten Eruptionen und die lauernde allgegenwärtige Gefahr, dass der aufrechtzuerhaltende Schein platzt und die Gesellschaft die Figuren in ihrem wahren Licht sieht. Dieser Regisseur nimmt sich nun mit dem Anfangsjahren der Psychoanalyse einem besonders spannendem Thema an.

„If you ever feel like taking the iniciative, I live in that building over there…“

Übertragung und ein Amour fou

Sabina Spielrein (Keira Knightley), eine junge jüdische Russin, wird als Hysterikerin im idyllisch gelegenen Burghölzli-Spital angeliefert. Sie schreit, weint und lacht, alles zur gleichen Zeit. Zu ihrem einzigen Trost während ihres Aufenthaltes wird Dr. Carl Gustav Jung (Michael Fassbender), durch dessen Behandlung sich nach und nach Sabinas Hysterie-Anfälle bessern. Eben dieser Erfolg mit der von Dr. Sigmund Freud (Viggo Mortensen) entwickelten Methode macht Freud auf Jung aufmerksam. Jung darf Freud in Wien besuchen. Die Psychoanalyse ist zu dieser Zeit ganz in den Händen von jüdischen Ärzten und in der Öffentlichkeit nicht sehr angesehen. Bei ihrem Treffen eröffnet deswegen Freud seinem katholischen Kollegen, dass er sich ihn als Nachfolger vorstellen kann, auch wenn er mit einigen kruden Theorien seines Zöglings nicht einverstanden ist. Jung ist enthusiastisch. Aber zurück im Spital kommen verdrängte Gefühle für seine schöne Patientin Sabina hoch und jeder Gedanke an Vernunft muss ihnen weichen. Auch dass Jung verheiratet ist, ist kein Hinderungsgrund für die zügellose Beziehung. Nur eines ist sicher: Freud darf von diesem Amour Fou nichts erfahren.

„Psychoanalysis. It’s more logical…And sounds better.“

Bruchstücke einer Beziehungsanalyse

Dieses Spiel mit dem Verborgenhalten und Offenlegen ist natürlich ein Thema, das viel mit der dargestellten Zeit zu tun hat. Alle Krägen waren hochgeschlossen und die Zimmer waren gepolstert, als ob man sich bei der kleinsten Regung an den scharfen Kanten der Welt verletzen könnte. Gleichzeitig fing die neue Generation an, diese Schutzwälle aufzubrechen und bloßzulegen. Dieses Wissen über die Jahrhundertwende findet sich in jedem Satz und jeder Einstellung. Es ist aber auch dieses Wissen, das den Film lesbar macht. Auf diese Weise funktioniert er auf vielen Ebenen. So ist Freud gleichzeitig Vaterfigur, Kontrollinstanz, das Statische, der Nihilist, strebt Richtung Thanatos… Jung steht ihm in allen diesen Dingen entgegen. Ebenso wie einem Analysten werden uns verschiedene Bruchstücke zugeworfen, die Facetten der Figuren zeigen, eine Begebenheit oder ein Gespräch. Es liegt an uns diese in den zugehörigen Zusammenhang einzuordnen. Deswegen auch scheinen die Ereignisse nicht in steigender Intensität hintereinander geordnet. Denn die Struktur ist nach der Logik einer Analyse aufgebaut. Das Offensichtlichste kommt zuerst und die verborgensten Dinge erscheinen gegen Schluss und auch nicht in klar ersichtlicher Intensität. Cronenberg schlägt ein Spiel vor. In den altmodisch ruhigen Einstellungen und an oftmals idyllischen Schauplätzen gibt er uns die Zeit alles Verborgene zu entdecken.

Das mise-en-scene legt einen engen Rahmen vor, mit dem die Schauspieler zurechtkommen müssen. Keira Knightleys Figur hat dabei noch die meisten Freiräume, die sie dankbar nutzt. Damit liefert sie ihre mutigste Performance ab. Von den Männern kommt Mortensen am besten mit den engen Räumen zurecht. Obwohl er weniger Zeit auf der Leinwand hat als die beiden anderen, zeigt er uns ein kraftvolles Porträt eines Freuds an der Schwelle zwischen Energie und Älterwerden, zwischen traditionellem Verhalten und freien Gedanken. Dabei verliert er nie seinen sanft ironischen Blick auf den Vater der Psychoanalyse, der dadurch endlich wieder Mensch wird. Michael Fassbender ist ein äußerst zugeknöpfter Jung, dem niemals der Ausdruck entgleitet. Als Protagonist und Identifikationsfigur hat er es besonders schwer, aber auch er füllt seine Rolle perfekt aus.

„Do you think they know we’re bringing them the plague?“

9 / 10

Fazit von Chouette

Cronenberg zeigt detailliert eine Dreiecksbeziehung in der Umbruchszeit nach der Jahrhundertwende in eleganten Bildern. Es entstehen scharfsinnige Rededuelle, die von allen drei Hauptdarstellern aufs Beste ausgetragen werden. Die Faszination macht weniger aus, was man sieht und hört, als das was verschwiegen, nicht gezeigt oder nur angedeutet wird. Nur die wenigsten Momente lassen es zu, dass man bis auf den Grund einer Figur sieht. Diese Momente werden extrem klug eingesetzt und sind nicht auf den ersten Blick zu erkennen. Dies ist ein extrem anspruchsvoller Film, der weniger die Seele als den Geist fordert und einen für lange Zeit beschäftigt.

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