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Antichrist

Es gibt Filme, die bereiten einem nicht nur einfache Gänsehaut, verstören einen nicht nur ein wenig, sondern fühlen sich an wie direkte Schläge in die Magengrube. Sie lassen einen mit einem psychischen, wenn nicht gar auch physischen Unwohlsein zurück. Dies schaffen sie mit einer formalen und inhaltlichen Intensität, wo zudem Bilder gezeigt werden, die man so noch nie zuvor in einer solchen Radikalität und Brutalität gesehen hat. Antichrist aus dem Jahr 2009 von Lars von Trier ist so ein Film. Er war ein Skandal bei seiner Premiere auf dem Festival in Cannes. Zuschauer verließen die Vorstellung frühzeitig und manche sollen sogar rausgetragen worden sein. Die Kritiker haben ihn zum Großteil in der Luft zerrissen, andere halten ihn für einen Geniestreich.

Ich selbst bin eben genau durch derlei Berichte und Artikel auf den Streifen aufmerksam geworden, weil ich natürlich das Extreme im Cineastischen suche. Der Autorenfilmer Lars von Trier selbst ist im internationalen Kino sowohl als enfant terrible mit Werken wie Idioten (1998) oder Dogville (2003) bekannt, als auch dafür, dass er Tragik und Drama bis hin zum Kitsch auf recht unvergleichliche Art beherrscht, nämlich unter anderem mit Breaking the Waves (1996) und Dancer in the Dark (2000). Natürlich kenne ich zumindest teilweise sein Schaffen und nachdem ich für den Herrn auch einiges übrig habe, hieß es für mich, Antichrist auf Blu Ray zu begutachten.

“Nature is Satan’s church.“

Das Ficken und das Töten

Zur Handlung selbst möchte ich nur möglichst wenig schreiben, da ein jeder Spoiler einem den Film versauen könnte. Es sei nur so viel gesagt, dass es in Antchrist lediglich zwei Hauptfiguren gibt, die wiewohl keine Namen tragen, sondern im Abspann lediglich als Sie (Charlotte Gainsbourg) und Er (Willem Dafoe) bezeichnet werden. Es handelt sich also um ein Paar, das nach einem schrecklichen Trauma den zerstörerischen Verfall ihrer Beziehung durchleben muss.

Dies wird von Beginn an in zum Teil radikalen und verstörenden Bildern erzählt, wo an explizitesten Sex- und Gewaltszenen kaum etwas ausgelassen wird. Mehr noch aber sind es die Motive von existenzialistischer Angst und tiefster Verzweiflung bis hin zur Depression, die im Film ebenso eindringlich behandelt werden. Dass zum Psychothriller auch noch Elemente des mythischen Horrors hinzu kommen ist demnach nur konsequent. Wie der Titel aber auch schon vermuten lässt, geht es schließlich auch im Sinne der katholischen Glaubenslehre um das Böse an sich, ja den Teufel, der sich in seiner verführerischsten Gestalt dem Menschen offenbart.

“Where are you?“

Der brutale Untergang der verzweifelt Liebenden

Was uns Romantik-Schnulzen unter anderem nur allzu gerne verschweigen ist, dass eine intensive Beziehung, die von Vertrauen, Intimität und gegenseitiger emotionaler Abhängigkeit geprägt ist, auch ein enormes zerstörerisches Potential für die Partner entfesseln kann. Antichrist geht aber genau darauf ein. Bei allem Symbolismus, bei allem Horror, bei aller Surrealität sind es letztlich zwei so einsame wie verzweifelte Menschen, Frau und Mann, die nach einem fundamentalen Bruch im zwischenmenschlichen Gefüge geistig und körperlich verfallen.

Trotz aller therapeutischen Ansätze einer Trauer- und Trauma-Bewältigung, trotz dem ständigen Suchen nach heilsamer Nähe, trotz mühevoller Versuche einer Aufrechterhaltung der gemeinsamen Vertrautheit und leidenschaftlichen Intimität, endet es. Und es endet hässlich, blutig, brutal. Die emotionale Erpressung beginnt. Im Sexualakt geschehen physische Verletzungen. Der eigene Körper und der Körper des Anderen wird verstümmelt. Der Terror der Intimität ist allumfassend. Jeder Versuch das Verlorene zurückzuholen scheitert, die Spirale des Untergangs dreht sich immer schneller. Liebe wird zu Hass. Die Boten des Todes treten auf. Am Ende kommt es zum Äußersten und nichts ist mehr übrig von einer Beziehung, vom Partner, von der Welt selbst.

“A crying woman is a scheming woman.“

Der Mann ist dumm, die Frau ist der Teufel

Das Mann/Frau-Motiv ist natürlich das Zentrum des Films. Hierbei sucht Lars von Trier aber eine eigene, fast perfide Definierung der geschlechtlichen Rollenbilder, die zudem bis hin ins Tiefenpsychologische und auch ins Religiöse geht. Sie tritt immer mehr hervor, je mehr die Partner am Trauma und sich selbst scheitern. Eine gespiegelte Opferrolle ist dabei auch von Relevanz. Dass manche Kritiker dem Regisseur und Autor auch Frauenfeindlichkeit vorgeworfen haben, halte ich zwar für einen Irrtum, aber man kann zu dieser Lesart durchaus kommen.

Der Mann wird im Film als der Versuch einer letzten rationalen Instanz dargestellt. Er kämpft mit allen Mitteln darum, das immer mehr zerbrechende zwischenmenschliche Gefüge aufrecht zu erhalten. Seine Dummheit und Banalität besteht darin, dass er selbst im Angesicht der entfesselten Unvernunft, ja beim Zerbrechen der Realität selbst, noch immer nichts begreift und daher nur versagen kann, falls überhaupt etwas Anderes als sein Versagen möglich ist.

Die Frau ist im Gegensatz dazu in der Irrationalität, man mag vielleicht sogar interpretieren in der chaotischen Substanz des Seins an sich verhaftet. Sie ist die Verführte und Verführende, die Quelle aller psychischen und physischen Gewalt, aus einer Überzeugung der Schuld und des fundamental Bösen heraus. Zudem symbolisiert sie die Triebhaftigkeit der Natur und erkennt zugleich den Horror in dieser. Trotz allem erweist sie sich am Ende vielleicht doch als der bessere Mensch.

“What do you think is supposed to happen in the woods?“

Die Natur ist Satans Kirche

Die größte Perfidie in Lars von Triers Film ist zudem die Annahme, dass die Frau tatsächlich im Bunde mit dem Teufel ist und die Jahrhunderte der Hexenverbrennungen, der Unterdrückung und der repressiven Ausgrenzung in jedem Fall gerechtfertigt waren und sind. Dass also das sündige Weib im katholischen Sinne tatsächlich weniger wert ist als der Mann, ja sogar gefährlich ist für das Gefüge der Welt selbst, eben in der Personifikation des Antichristen. Das Böse liegt in der Natur der Frau. Die Frau ist die Natur. Die Natur ist böse.

Hier wird, im Übrigen ähnlich wie bei David Lynch, mit diesem Motiv auch der Einbruch einer mythisch-phantasmatischen Sphäre in eine sozialrealistische Wirklichkeit dargestellt, vor der die Protagonisten nach einem Prozess der geistigen und körperlichen Zersetzung letztlich kapitulieren müssen. Das Ungewisse, das Verdrängte ist in seiner obszönen Präsenz nämlich immer und ewig in den finsteren Winkeln des Unbewussten und des Seins. Die diffusen Ängste gegenüber der Natur und unseren Trieben sind nämlich in allen Dingen gerechtfertigt, auch wenn wir uns andauernd etwas anderes vormachen. Im Grunde handelt es sich dabei um den existenzialistischen Horror, wie ihn der Schriftsteller H. P. Lovecraft erstmals beschreibt.

“No, you don’t see. You see a lot of things, but not that.“

Penetrationen mit 1000 Bildern pro Sekunde

Der Film wartet zum Teil mit einem visuellen Overkill auf, indem er mehrfach unglaublich intensive, visuelle Impressionen präsentiert, die im Mainstream-Kino ohnehin Ihresgleichen suchen. Wie da vor allem mit digitalen Kompositionen, subtilen Computeranimationen oder auch mit Superzeitlupenkameras mit einer Bildrate von 1000 Bildern pro Sekunde gearbeitet wird, ist schlichtweg beeindruckend und verstärkt noch die atmosphärische Intensität und inhaltliche Wucht auf formaler Ebene.

Auskenner werden nicht zuletzt auch das fantastische Sounddesign sehr mögen, denn das funktioniert beim Aufbau der Horror-Stimmung und den wenigen, dafür aber umso drastischeren Schock-Effekten auch äußerst fein. Musikalische Mittel werden fast garnicht verwendet, wenn aber, dann fügen sie sich in dramaturgischer Hinsicht prächtig ein.

“I see.“

Die Darsteller in totaler Entblößung

Nicht genug loben kann man die beiden Darsteller Charlotte Gainsbourg und Willem Dafoe. Ihre Charaktere werden in Antichrist von Beginn an physisch und psychisch entblößt, durchlaufen die gesamte emotionale Bandbreite bis hin zur äußersten Verzweiflung. Das Zeigen der inneren Verletzlichkeit, die für solche Rollen notwendig ist, ist so mutig wie beeindruckend.  

Hochverdient für ihr grandioses Spiel hat Charlotte Gainsbourg den Darstellerpreis bei den Filmfestspielen in Cannes 2009 gewonnen. Ihre Performance ist wahrhaft fantastisch.

“Why did you give up? That’s not like you.“

Ein depressiver Regisseur

Schließlich sei noch gesagt, dass Lars von Trier selbst mit Antichrist eine schwere Depression verarbeitet hat. Dass er während der Dreharbeiten auch nicht ganz auf der Höhe war, merkt man dem Film in seiner Regie zum Teil auch an. Er war sich ja zuvor auch nicht gänzlich sicher, ob er diesen überhaupt realisieren könnte.

Zudem war es ihm nicht möglich, wie sonst üblich bei seinem Schaffen, auch die Kameraarbeit mit zu übernehmen, da er noch teilweise an seiner psychischen Erkrankung litt. Gewisse inhaltliche Elemente spiegeln auch bestimmte Verlaufsstadien seiner depressiven Zustände wieder.

“Chaos reigns!“

8 / 10

Fazit von Spenz

Ich halte Antichrist für einen absolut großartigen Film, ja sogar für das beste Werk von Lars von Trier, soweit ich sein Schaffen bisher kenne. Die Intensität, die Atmosphäre, das Schauspiel, die Inszenierung, die Effekte… alles beeindruckt, überzeugt, begeistert einen.

Umso mehr noch wird man aber verstört, verängstigt, wenn nicht gar gequält, wenn man sich das ganze Werk auch tatsächlich antut. Zumindest meine erste Beschauung verursachte bei mir psychisch wie physisch ein mehr als deutliches Unwohlsein. Aber allein deshalb liebe ich Antichrist, denn er ist das Extrem, dass das Medium Film in seiner höchsten Kunstfertigkeit darzustellen vermag, wenn man das Wagnis eingeht, sich gänzlich auf ihn einzulassen. Wobei natürlich die Schläge in die Magengrube und die intensive Wucht in seiner Gesamtheit, beim zweiten oder dritten Mal ansehen, weit weniger stark vorhanden sind. Und man muss auch sagen, dass er zum konsequenten Finale hin etwas zu sehr die Gewaltschiene bedient und phasenweise dabei etwas orientierungslos und unentschlossen wirkt.

Was mich auch zu meiner Empfehlung bingt: der Film ist unbedingt erst ab 18 anzuschauen, wenn nicht sogar erst ab 21. Zu explizit sind die Sex- und Gewaltszenen, zu verstörend sind die Inhalte um sie einem jüngeren Publikum zuzumuten. Auch etwas zartbesaitete Naturen und jene, die nicht mit gewissen Extremen des Mediums Films vertraut sind, sollten sich Antichrist wirklich nicht antun.  

Allen Anderen empfehle ich den Trip, denn er lohnt sich in jedem Fall, auch wenn es wirklich unangenehm werden kann.

Blu Ray-Extras:

In HD und am besten auf einem großen Fernsehschirm sind vor allem die digital komponierten Bilder und auch die Superzeitlupenaufnahmen in Schwarzweiß ein echter visueller Genuss. Ton ist fein. Die deutsche Synchronisation ist auch sehr gelungen.

Extras sind sehr reichlich vorhanden und könnten wohl nicht besser sein. Es gibt mehrere Interviews mit den Schauspielern sowie dem Regisseur. Mehrere Dokus zu Effekten, Musik und Inhalten des Films. Nicht zuletzt auch ein Making Of und ein Special über die animalischen Darsteller. Allesamt äußerst informativ und wirklich gut gemacht. Für mich wie stets am Besten das Audiokommentar mit Lars von Trier und dem englischen Universitätsprofessor Maurice Smith, der praktisch einen Dialog mit dem Meister durch den Film hindurch führt.

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