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Alle Anderen

Das mit den Beziehungsfilmen ist irgendwie so eine Sache. Der Amerikaner präsentiert uns da meistens und in regelmäßigen Abständen gerne den ärgsten Kitsch, gepaart mit dumpfen Plattitüden und gänzlich verkrampften Sex-Szenen, wenn überhaupt. Der Franzose hat da oft schon einen besseren und etwas realistischeren Zugang, zirkuliert dann aber nur allzu gerne in stundenlanger, filmischer Selbstverliebtheit vor sich hin. Der Österreicher scheint einen sehr starken Hang zu dysfunktionalen Verhältnissen samt fast schon obszön entstellender Entblößung zu haben. Und irgendwie geht es aber bei allen um Liebe und Körperlichkeit, nur offenbar mit gänzlich verschiedenen Zugängen und Darstellungsversuchen. Vieles davon kann ich nur wenig leiden. Vieles davon davon will uns etwas von tatsächlichen Beziehungen erzählen, ist dabei aber in seiner überhöhten Romantisierung genauso ‚realistisch‘ wie die Plastighaftigkeit von schlechter Science-Fiction.

Alle Anderen aus dem Jahr 2009 ist auch ‚so ein Beziehungsfilm‘. Regisseurin und Autorin ist Maren Ade, die aus eigenen Erfahrungen und Beobachtungen heraus die Geschichte eines modernen Paares erzählt, das während eines Urlaubsaufenthaltes auf Sardinien immer mehr die gemeinsamen Brüche und Defizite im Zusammensein erkennen muss. Dafür gab es den großen Preis der Jury bei der Berlinale 2009 und die österreichische Schauspielerin Birgit Minichmayr erhielt für ihre Verkörperung der Hauptfigur Gitti den Silbernen Bären als beste Darstellerin. Da ich ein ziemlicher Fan von Frau Minichmayr bin und die Live-Übertragung der Berlinale mich auf Alle Anderen gebracht hat, wollte ich mir ‚so einen Beziehungsfilm‘ gänzlich ohne besonderen Erwartungen mal extra zu Gemüte führen.

“Weil wir falsch sind.“

Es ist heiß

Heiß ist es auf Sardinien, heiß und schön. Gitti (Birgit Minichmayr) und Chris (Lars Eidinger) sind ein junges, modernes und offenbar gänzlich harmonisches Paar, die ganz und gar ihre Liebe, ihre Nähe und ihre Körperlichkeit miteinander leben. Die Intensität und die Qualität könnten dabei nicht größer sein, es könnte nicht besser sein. Gemeinsam lebt man die Beziehung, gemeinsam hat man das Vertrauen. Der Humor ist auch da. Man fühlt sich nur allzu wohl.

Er ist Architekt und versucht sich an neuen Projekten. Ein aufgeschlossener Mann, so sensibel wie fürsorglich. Etwas feminin vielleicht, etwas unsicher vielleicht. Es ist das Haus seiner Eltern, in dem sie ihre gemeinsame Urlaubszeit verbringen. Sie arbeitet für ein Musiklabel und verkörpert die so selbstsichere wie unabhängige Frau. Etwas dominant vielleicht, etwas überdreht vielleicht. Man kennt einander. Man spricht miteinander. Oft und ganz.

Und trotzdem passieren Verletzungen: so selten, so subtil und so unbewusst sie auch sein mögen. Der Andere wird übergangen, der Andere nervt. Wo man anfangs noch über alles reden konnte, passiert irgendwann ein Verlust von Sprache. Kleine Lügen müssen gemacht werden. Es wird vorgetäuscht.

Das andere Paar, dem man begegnet, von dem man mehr zu wissen beginnt, scheint alles irgendwie besser gemacht zu haben. Vielleicht sind sie ein wenig spießig, etwas fade, fast uninteressant, aber den Erfolg, das Kind, die Sicherheit haben sie. Aus dem Nichthaben entsteht die Unsicherheit und irgendwie die Sehnsucht nach dem, von dem man bisher geglaubt hat, dass man es ja doch nicht braucht.

Die feinen Risse werden größer. Die alten Rollenbilder werden wieder gesucht. Die kleinen Machtspielchen um wechselseitige Dominanz beginnen. Unbenannte Frustrationen drängen sich auf. Mehr denn je sucht man nach Nähe, aber man stößt stattdessen auf die Distanz im Anderen. Warum nicht alles gut ist und vielleicht sogar nichts gut ist, will man oder kann man nicht mehr wirklich erkennen.

Der Urlaub endet bald. Alles Andere vielleicht auch.  

“Schau, wie andere sich verhalten.“

Es wird kalt

Annähernd zwei Stunden in denen keine große Dramaturgie, keine große Narration passiert. Sicher, der stringente Fortlauf ist da, die Geschichte und die Figuren erleben eine Entwicklung, einen Höhepunkt, aber die Aneinanderreihung von Szenen einer Liebesbeziehung ist nicht gerade das große Geschehen. Das Meiste entwickelt sich langsam, zeigt sich oft nur ganz subtil, passiert nur zwischen den Zeilen. Es ist mehr ein Prozess, ein zwischenmenschliches Zirkulieren, ein Hin und Her von Nähe und Distanz, wo sich aber immer breitere Gräben offenbaren und genau dieser leise Verlust, dieser stille Untergang eines Paares ist es, der in Alle Anderen offen gelegt wird. Symbolisch deutlich, im Übrigen auch in einem Logo im Vor- bzw. Abspann, wird dies in der Figur des ‚Schnappi‘, der zuerst den gemeinsamen Humor repräsentiert, also die gemeinsame Sprache, das gemeinsame Universum, schließlich aber zu einem lächerlichen Ding, einer fast schon abgestoßenen Substanz einer letzten Restwirklichkeit transformiert oder besser verkommt.

Die Darstellung vom Verlauf dieser Beziehung ist so glaubhaft wie realistisch, so überzeugend im Schauspiel wie wirklich im Dialog. Eigentlich sollte ja ein so modernes, schönes und intelligentes Paar wie Gitti und Chris in der Harmonie, im Ideal angekommen sein, aber irgendwie sind sie es dann doch nicht. Obwohl man die Verletzlichkeit zulässt, die Vertrautheit lebt, eigentlich über alles sprechen kann, verschwindet ein Rest von Distanz, verschwinden einige Brüche doch nicht ganz. Die alten Rollenbilder sind ja vielleicht doch nicht so übel und die Spießigkeit der Anderen hat ja vielleicht doch eine Wahrheit, ist das bessere Modell für eine Beziehung.

Niemand kommt jemals an. Alle Anderen werden  immer besser sein.

“Ich liebe Dich nicht mehr.“

6 / 10

Fazit von Spenz

Alle Anderen macht es mir schwer. Einerseits finde ich die Darstellung vom langsamen Ende einer Liebesbeziehung in sich überaus glaubhaft und dabei auch sehr gut beobachtet, andererseits geht es ja doch alles etwas sehr zäh und langwierig vonstatten. Vielleicht ist dies aber in der Form auch notwendig, denn der Verzicht auf Kitsch, Überhöhungen und schlicht infantilen Liebes-Quatsch bei gleichzeitigem Bemühen um tatsächliche Figuren und deren Zwischenmenschlichkeit zeugt freilich schon von der eigentlichen Qualität und dem Niveau des Films, ohne dabei aber jemals selbstgefällig und bemüht zu werden.

Irgendwie täte ich Alle Anderen wohl doch mehr mögen, wenn er etwas mehr an Dynamik, an Kürze und schlicht einen Tick mehr Spannung hätte, aber vielleicht wäre das bei dieser Form der Darstellung eben einer solchen Beziehung schon zu viel. So erkennt man nämlich auch die Banalität des Alltags oder die Wichtigkeit von kleinen Momenten, die mich wiederum genau dann oft sehr bewegt haben. Oder vielleicht werden hier doch zu viele Luxus-Probleme zum Thema gemacht.

Und in gewisser Weise ist Alle Anderen für mich Antichrist ‚light‘ oder das klare Zeugnis dafür, dass die Darstellung der eigentlichen Liebe niemals die Massen in die Kinosäle locken kann (weil wir ja alle durch Hollywood schon so konditioniert sind).

Und die Sexszenen sind wirklich schön dargestellt und schön inszeniert (endlos besser als so viel anderer Quatsch).  

Und Birgit Minichmayr ist aber wirklich (wieder mal) sowas von großartig und sieht dabei auch verdammt gut aus.

DVD-Extras:

Für einen Film wie diesen fallen die Extras solide bis sehr gut aus. Interviews, Outtakes, Deleted Scenes und der Trailer gehören mal zur Grundausstattung. Dazu gibt es noch ein nettes Booklet mit Fotos, Screenshots und Zitaten aus dem Film. Für mich, wie sooft, war das Audiokommentar mit der Regisseurin und den beiden Hauptdarstellern das eigentliche Highlight, das zwar insgesamt per se nicht so informativ sein mag, aber sehr gut die Stimmung beim Dreh und gewisse Zugänge zu den Figuren offenlegt.

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