Judge Dredd ist eigentlich eine Comic-Figur, die anno 1977 im britischen Magazin 2000 A.D. erstmals das Licht der fiktionalen Welt erblickte. Seither gilt er als die ultimative Instanz für Recht und Ordnung im futuristisch-urbanen Alptraum von Mega-City One, die in 120 Jahren einer der wenigen Zufluchtsorte für hunderte Millionen von Menschen inmitten der post-apokalyptischen Wüste dient. Die elitären Gesetzesvollstrecker, genannt Judges, vereinen die Funktionen von Polizei und Richter in einer Person und fällen ihre Urteile bei Notwendigkeit in einem Feuergefecht, was also nichts anderes als die beschleunigte Ausübung der Todesstrafe bedeutet.
Dieses großartige Setting eignet sich bestens für eine Umsetzung als actiongeladenen Genre-Film, was 1995 erstmals mit Sylvester Stallone in der Hauptrolle geschah. Äußerst aufwändig und teils durchaus spektakulär wurde Mega-City One darin in Szene gesetzt, allerdings blieb dabei vor allem die Handlung etwas auf der Strecke und der plumpe, nur allzu selbstironische Humor führte zu einem zu großen Bruch in der sonst recht stilsicheren Atmosphäre. Meine Sympathien hat Judge Dredd aber bis heute noch.
Unter dem kürzeren Titel Dredd kam nun eine Neu-Verfilmung des SF-Stoffes in die Kinos. Dieses Mal ist es Karl Urban (Der Herr der Ringe, Riddick) in der Rolle des unbarmherzigen Judges, der übrigens ganz wie in der gezeichneten Vorlage kein einziges Mal seinen Helm abnimmt. Das Budget ist nun mit knapp 50 Millionen Dollar vergleichsweise bescheiden und ganz generell herrscht nun ein dezenter Reduktionsnismus in der Inszenierung und der Produktion vor. Dennoch oder gerade deshalb haben wir es hier, in meinen Augen, mit dem vielleicht besten Genre-Film des Jahres zu tun…
„I am the law.“
Mega-Handlung
In Mega-City One ist eine neue Droge auf dem Markt: das sogenannte Slo-Mo, welches beim Konsumenten nach der Einnahme dazu führt, dass dieser das unmittelbare Geschehen auf extrem verlangsamte Weise vollkommen bewusst wahrnimmt. In einem Wolkenkratzer-Wohnkomplex verbreitet die sadistische Anführerin Ma-Ma mit ihrer Bande den Stoff.
Judge Dredd wird nach einer extrem brutalen Hinrichtung von drei Männern auf diesen Hort des Verbrechens aufmerksam. Judge Anderson, die durch Mutation über telepathische Kräfte verfügt, begleitet ihn und muss nach der Ausbildung ihren allerersten Einsatz erfolgreich absolvieren. Als die beiden Gesetzeshüter vor Ort eintreffen, lässt Ma-Ma den gesamten Komplex abschotten. Für die beiden Judges beginnt ein Kampf ums Überleben…
„Negotiation’s over. Sentence is death. Negotiation’s over. Sentence is death.“
Mega-Spaß
Es ist eigentlich erstaunlich, wie gut Dredd auf allen Ebenen funktioniert, obwohl oder gerade weil er prinzipiell eher einfach gestrickt ist und eine gewisse Zurückhaltung setzt. Hier gibt es (fast) keine großen Action-Szenen, keine Effekt-Orgien, keine überladenen visuellen Tableaus eines futuristisch-urbanen Settings, keine komplexen Verschachtelungen in der Handlung, keine allzu tiefgründige Figurenzeichnung. Es ist vielmehr ein absolut geradliniger, schneller und zynischer Film, mit teils extrem brutalen Szenen, der nie mehr sein will, als er ist und gerade das macht ihn so verdammt gut.
Dredd entwickelt schon sehr früh eine dichte, zudem überraschend realistische Atmosphäre. Die absolute Trostlosigkeit des urbanen Alptraums Mega-City One wird sowohl in gekonnten, wiewohl eher selten präsentierten Effekt-Szenen vermittelt, als auch in der Exposition einer futuristischen Welt, in der Low-Tech und High-Tech aufeinander treffen. Visuelle Höhepunkte bescheren nicht zuletzt jene Momente, in denen die Auswirkungen der Slo-Mo-Droge zu sehen sind: glasklare Superzeitlupen-Aufnahmen, die speziell in einem Feuergefecht äußerst plakativ die Auswirkungen von Schussverletzungen zeigen. Farblich und vom Tempo her ist dies natürlich ein bewusster Gegensatz zum Rest des Films. Gehäuft blitzt dabei die subtile Intelligenz in der Inszenierung auf.
Geradlinige Action bekommt man praktisch auf dem laufenden Band präsentiert. Der Bodycount in den oftmals so schnell wie langsam geschnittenen Schusswechseln ist für die beiden Judges jedenfalls sehr hoch. Dennoch bleibt zwischendurch genug Raum für gelungene Dialog-Szenen. Der Fortlauf der Handlung, welche mehr eine Episode von Judge Dredd erzählt als eine in epischen Bomabst ausuferne Geschichte, wird übrigens durchaus symbolisch im weiteren Vordringen in höhere Stockwerke des Wohnkomplexes, der als begrenzte ‚Bühne‘ des Films dient, dargestellt.
Die Charakterisierung der Judges in ihrer Motivation als ultimative Gesetzesvollstrecker, als letzte und einzige Instanz für das Recht im Chaos einer postapokalyptischen Welt, kommt in Dredd sehr gut zur Geltung, was natürlich bei dieser Comicvorlage mehr als nur wünschenswert ist. Nicht nur hier kann der Film mit innerer Glaubwürdigkeit bei gleichzeitig respektvollen Umgang mit dem Stoff eines anderen Mediums punkten.
„Rookie, you’re ready?“
Mega-Darsteller
Dredd mag vielleicht für Schauspieler nicht die Möglichkeit bieten als Oscar-Kandidaten zu glänzen, aber gerade Karl Urban als Judge Dredd gelingt es mit runtergezogenen Mundwinkeln auf ganzer Linie zu überzeugen. Seine physische, mimische und stimmliche Präsenz trägt den gesamten Film. Seine junge Begleiterin Olivia Thirlby alias Judge Anderson mag zwar nicht ganz mit der Leistung ihres Kollegen mithalten können, aber sie fügt sich als (anfangs) zerbrechliche Übersinnliche recht gut in ihre Rolle ein.
Gesondert erwähnt seien noch die beiden Gegenspieler, die übrigens beide als Serien-Stars einen gewissen Bekanntheitsgrad erreicht haben. Lena Headey als Ma-Ma, kennen viele wohl aus Game of Thrones (seit 2011) oder Terminator: The Sarah Connor Chronicles (2008-2009), wo sie ähnlich dominante Frauenfiguren verkörpern darf. In Dredd bleibt sie allerdings vielleicht ein wenig zu blass und oberflächlich. Wood Harris als ihr Untergebener Kay hat in der für mich höchstklassigen Serie The Wire (2002-2008) bereits einen Verbrecher aus der Drogenwelt dargestellt. Hier kann er leider nur kurz glänzen und ist zudem etwas zu lang zu bloßem Schweigen verdammt.
„Judgement Time.“
Fazit von Spenz
Dredd ist für mich das überraschende Genre-Highlight des Jahres. Die kompromisslos-brutale Action in einem glaubwürdigen postapokalyptischen Szenario funktioniert mit all seinem dezenten Reduktionismus auf allen Ebenen, nicht zuletzt auch Handlung und Schauplatz, überaus prächtig. Die Comicvorlage wird ernst genommen, die innere Glaubwürdigkeit stimmt. Atmosphärische Dichte ist hier ebenso vorhanden wie pure Coolness in der Figurenzeichnung. Erfreulich ist dabei die intelligente Inszenierung, die sowohl visuell als auch rhythmisch sehr viel zu bieten hat.
Wenn mich vereinzelt etwas gestört hat, so sind es eine Handvoll von merklichen Logikfehlern, wie das Fehlen von Luftfahrzeugen für die Judges oder das allzu lange Schweigen eines mitgeführten Gefangenen. Auch könnten die Charaktere teils einen Tick besser ausformuliert sein. Aber da der Rest von Dredd in sich so stimmig ist und so wunderbar funktioniert, kann ich gerne gnadenvoll darüber hinweg sehen.
Dredd ist für mich eine wunderbare Antithese zum Vorgänger Judge Dredd oder generell zu anderen überladenen und gescheiterten SF-Filmen wie Prometheus. Dredd ist der rohe, harte Kern des Genres, am ehesten wohl noch vergleichbar mit Die Klapperschlange (1981), der ebenfalls einen zynischen Abgesang auf die menschliche Zivilisation in der Verlorenheit der gebrochenen Urbanität darstellt. In der Barbarei der Zukunft kann nur der Ordnung ins Chaos bringen, der mit blindem Glauben ein höheres Prinzip über sich und alle anderen stellt. Das ist Dredd.
3 Comments
Leave a Reply