Schon im letzten Jahr lieferte der britische Schauspieler Colin Firth in Tom Fords Film A Single Man in der Rolle des suizidgefährdeten Schwulen George eine schauspielerische Meisterleistung ab. Es war so etwas wie der späte Durchbruch für den lange unterschätzten Firth, der für die Rolle unter anderem eine Oscar- und Golden Globe-Nominierung bekam. Und wäre Jeff Bridges (in Crazy Heart) nicht gewesen, dann hätte der Brite wohl die begehrten Trophäen eingeheimst. Doch jetzt konnte Firth im Historiendrama The King’s Speech nochmal einen drauf setzen und begeisterte Fans und Kritiker mit seinem Portrait des stotternden britischen Königs George VI.
„I bloody well stammer!“
Großbritannien vor dem zweiten Weltkrieg
Der erfahrene Mime (Firth spielte in knapp 70 Produktionen) verkörpert George VI. in einer unnachahmlichen Art. Als jüngster Sohn von George V. (gespielt von Michael Gambon) war er eigentlich nicht als Thronfolger gedacht, diese Aufgabe oblag seinem älteren Bruder David (Guy Pearce). Für Prinz Albert (der bürgerliche Name von George VI.) ein Segen, da er sich durch sein Stottern nicht in der Lage fühlt, ein Land zu führen. Schon gar nicht Großbritannien, dem zum Filmzeitpunkt ein Viertel der Weltbevölkerung angehörte. Schließlich ist es durch die neue Radiotechnologie wichtig geworden, zu der Bevölkerung zu sprechen.
Doch sein Bruder David, als König Edward VIII., ist ein notorischer Playboy und besteht darauf, seine amerikanische Freundin Wallis Simpson (Eve Best) zu heiraten. Da diese bereits zweimal geschieden ist, spielt das britische Königshaus und allen voran die Kirche bei diesem Plan nicht mit. Aus Liebe dankt David als König ab und plötzlich muss Albert, von seiner Familie nur „Bertie“ genannt, den Thron übernehmen – nur wenige Monate bevor Großbritannien 1939 dem von Hitler geführten Deutschland den Krieg erklärte.
„Your greatest test is yet to come.“
Mehr als nur Geschichte
Soviel zum geschichtlichen Hintergrund. Doch der Film ist mehr als nur ein historisches Drama. The King’s Speech ist eine Charakterstudie, ein Werk über Freundschaft, gesellschaftlichen Druck und Verpflichtungen. Regisseur Tom Hooper beginnt den Film im Jahr 1925. Als königlicher Sohn soll Bertie die Abschlussrede zur Empire Ausstehlung im vollbesetzten Wembley Stadion in London halten. Doch Nervosität und sein Stottern geben ihm den Rest, er bringt kaum ein Wort heraus – man sieht ihm die Scham regelrecht an.
Hier lernen wir auch seine fürsorgliche Frau Elizabeth kennen (Helena Bonham Carter, mit einer sehr gelungenen Leistung als „gute Seele“ im Königshaus). Sie will ihrem Mann, der durch sein Handicap auch noch unter einem schlechten Selbstbewusstsein leidet und äußerst reizbar ist, mit aller Macht helfen. Doch Bertie verschleißt Sprachtherapeut um Sprachtherapeut, bis Elizabeth, heute besser bekannt als Queen Mum, schließlich den unkonventionellen Australier Lionel Logue (Geoffrey Rush) ausfindig macht.
„Timing isn’t my strong suit.“
Lang lebe der König
Der selbst ernannte Sprachtherapeut, ohne Ausbildung oder Diplom, schert sich nicht um formale Umgangsformen und spricht den zukünftigen König sofort mit seinem Rufnamen Bertie an. Der ist zunächst entsetzt und tut Logues Methoden als Schwachsinn ab. Nach einer Weile lässt er sich aber überzeugen und so entwickelt sich eine tolle Interaktion zwischen den beiden Charaktere. Die Gegensätze zwischen dem steifen und hoheitstreuen Bertie und dem lockeren und eloquenten Logue sorgen für einigen Wortwitz (wenn der Therapeut seinen Patienten beispielsweise auffordert, zu singen oder Schimpfwörter bei Sprachübungen zu benutzen), aber auch für viele Emotionen. Denn auf Umwege entsteht eine Freundschaft, die, wie es die Geschichte zeigen sollte, ein Leben lang hielt.
Die Performance von Rush ist ebenso beeindruckend wie die von Firth. Die durchweg starken Nebendarsteller, das Szenen- sowie Maskenbild und die Kostüme tun ihr übriges und sorgen für eine glaubhafte Atmosphäre. Die ausgefeilten und teils lustigen Dialoge lockern die Stimmung des Filmes immer zum rechten Zeitpunkt auf. Firth kauft man das Stottern über die gesamte Spieldauer ab, obwohl bei einer solchen Aufgabe immer die Gefahr besteht, dass ein Schauspieler zu viel schauspielert. Die Chemie zwischen dem Briten und seiner Filmfrau Bonham Carter stimmt. Und die Szenen mit Rush sind brillant, auch dank der tollen Mimik der Darsteller. Man hätte The King’s Speech nicht besser besetzen können.
„Vulgar, but fluent; you don’t stammer when you swear.“
Visuelle Unterstützung
Drehbuchautor David Seidler lieferte ebenfalls ganze Arbeit ab. Es wird eine Geschichte erzählt, die ohne die übliche Hollywood-Action auskommt und trotzdem fesselt. Das liegt natürlich auch an Regisseur Hooper, der Schauspieler und Kulisse immer wieder passend in Szene setzt. Der Brite gilt in seiner Heimat als hervorragender Regisseur, insbesondere für die Umsetzung von typisch-britischen Stories. Mit The King’s Speech könnte ihm auch der internationale Durchbruch gelungen sein.
Hervorzuheben ist außerdem, dass der Film fast ausschließlich in geschlossenen Räumen spielt. Da steht auf der einen Seite der prunkvolle Palast des Königs und auf der anderen das selbsttapezierte Arbeitszimmer von Logue. Dadurch wird der angesprochene Gegensatz der beiden Hauptcharaktere auch visuell dargestellt. Ein weiterer Punkt zum Interieur: in den Szenen, in den Bertie zum Radiomikrofon schreitet oder in bedeutende Dialoge verwickelt ist, nutzt Hooper mit Vorliebe enge und lange Korridore, die möglicherweise als Metapher für Berties harten Kampf gegen das Stottern dienen. Schließlich symbolisieren sie den weiten Weg, den der neue König zurücklegen muss, um sein Land, wie es von ihm erwartet wird, zu regieren.
Das Highlight des Films ist dann die Schlussszene, bei der König George VI. seinem Volk in einer – wie sollte es anders sein – Radioübertragung über den Kriegsbeginn mit Deutschland informiert. Sie ist von Hooper zwar simpel, aber sehr bewegend und wirkungsvoll inszeniert. Diese Szene musste allerdings auch perfekt werden, denn für Bertie ist es der wohl bedeutendste Moment seines Lebens.
„However this turns out, I don’t know how to thank you.“
Fazit von Wolfgang
The King’s Speech ist weitaus mehr als nur ein Historiendrama. Es ist ein zeitloser Film, dem die Epoche vor dem zweiten Weltkrieg lediglich als Rahmenhandlung dient. Es ist ein Film, bei dem man die Entwicklung von einer Freundschaft miterlebt und einen Einblick in das komplizierte Leben der britischen Königsfamilie bekommt. Es ist kein Film, der auf Effekthascherei setzt, sondern ein ruhiges aber dennoch kurzweiliges (trotz einiger Längen in der Mitte) Drama. Colin Firth und Geoffrey Rush spielen ihre Rollen perfekt, das Drehbuch von David Seidler (der selber mit Stottern zu kämpfen hat) ist gelungen und die Regie von Tom Hooper weiß zu überzeugen. The King’s Speech ist ein nachdenklicher und schöner Film, der seinem Lob gerecht wird und nur wenige Schwächen aufzuweisen hat. Eine klare Empfehlung.
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