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The Wicker Man (1973)

Unlängst… habe ich mir zum wiederholten Male ein britisches Juwel, wenn nicht gar Meistewerk von einem Film zu Gemüte geführt, namentlich The Wicker Man aus dem Jahre 1973. Der Citizen Kane des Horror-Genres wird er von Vielen der nur allzu enthusiastischen Fans dieses längst zum Kult gewordenen Streifens genannt. Wenn er vielleicht nicht von einem jeden so hoch verehrt werden vermag, so ist er in jedem Falle eines: äußerst ungewöhnlich bis reichlich bizarr. Dies gilt ebenso für die Produktion des Films selbst, als auch für den ersten Release sowie dem Umstand, dass auf nur allzu unergründliche Weise bedeutende Teile des originalen Negativs einfach verschwunden sind. Regie führte bei The Wicker Man Robin Hardy, der witziger weise davor und danach praktisch nichts gedreht hat und der einzig wirklich bis heute bekannte Name im Cast dürfte Chrisopher Lee (Der Herr der Ringe) sein, der seine Rolle des Lord Summerisle als seine Liebste bezeichnet und so nebenbei keinen Cent an Gage dafür bekommen hat. Längere Zeit galt der Film zudem als nur schwer aufzutreiben, aber das Wunder der DVD bringt uns dieses herrliche Schaustück des paganistischen Horrors mit dem brennenden Weidenmann wieder auf den Fernsehschirm.

„I think Rowan Morrison was murdered under the circumstances of Pagan barbarity.“

Glauben ist alles

Als etwas lose Vorlage diente für The Wicker Man der Roman The Ritual von David Pinner, welcher im Jahre 1967 erschien. Der Film selbst lässt sich anfangs Zeit mit dem Erzählen und beginnt mit der Charakterisierung der Hauptfigur, nämlich dem tiefgläubigen und höchst disziplinierten Polizei Sergeant Neil Howie (Edward Woodward). Dieser erhält einen anonymen Brief von der etwas abgelegenen Insel Summerisle, in dem es heißt, dass ein Mädchen mit Namen Rowan Morrison (Geraldine Cowper) seit einiger Zeit spurlos verschwunden ist. Der Sergeant  begibt sich mit einem Wasserflugzeug dorthin und beginnt mit seinen Ermittlungen in der so verschrobenen wie misstrauischen Gemeinde.

Anfangs scheint das Mädchen niemand zu kennen, aber nach und nach verdichten sich immer mehr Hinweise auf ein möglicherweise grausames Verbrechen, das unzweifelhaft mit der offen paganistischen Lebensweise der örtlichen Bevölkerung zu tun hat, die keineswegs dem christlichen Glauben folgt, sondern vielmehr uralte keltische Götter verehrt und Rituale der absonderlichsten Art praktiziert. Das Oberhaupt der Gemeinschaft ist Lord Summerisle (Christopher Lee), der zunächst kooperativ und zuvorkommend wirkt, aber ebenso die Fäden eines Verwirrspiels im Hintergrund zieht. Mit aller Macht versucht Neil Howie dem blasphemischen Treiben ein Ende zu setzen, was ihn aber letztlich nicht vor der schrecklichen Begegnung mit dem Wicker Man bewahrt.

„Bloody Pagans.“

Die Alten Götter sind nicht tot

The Wicker Man ist irgendwie für sich genommen ein einzigartiges Filmerlebnis. Dies liegt einerseits an der ungewöhnlichen Atmosphäre, die er von Beginn an aufbaut, in derer eine stete, subtile Bedrohung spürbar ist, die sich aber kaum fassen lässt. So langsam und bedächtig er auch beginnen mag, umso intensiver und spannender wird er über den Verlauf der Handlung hinweg bis hin zu einem der besten, konsequentesten und zugleich schrecklichsten Finale der Filmgeschichte.

Zudem überrascht er alsbald mit äußerst ungewöhnlichen Musical-Einlagen, die aber zugleich stimmiger nicht sein könnten. Überhaupt ist es auch die wunderbare Musik, die viel zu Atmosphäre aber auch zur Geschichte selbst beiträgt. An sich hat man es mit einer cleveren Schnitzeljagd, einem teils surrealen Verwirrspiel und einem klassischen Detektiv-Abenteuer zu tun, das stets um einen mythisch-religiösen Kern zirkuliert. Im Grunde ein Mystery-Thriller, bevor es Mystery-Thrillers überhaupt gab und von dem sich gerade heutzutage ein gewisser M. Night Shyamalan nicht nur einiges abgeschaut hat, was Dramaturgie betrifft, sondern auch wieder einiges lernen könnte.

Generell geht es in The Wicker Man um den Kampf zwischen einem fundamental-christlichen Weltbild versus einer paganistisch-keltischen Kultur, die in ihrem Gegensatz zur Moderne so unheimlich wie faszinierend wirkt. Dazu von den Motiven her nicht minder bedeutend die Gegenüberstellung von Wiedergeburt und Wiederauferstehung sowie eine radikale Auffassung des Märtyrertums. Elemente von Humor und Erotik dürfen dabei freilich auch nicht fehlen. Es ist in jedem Fall ein gänzlich ungewöhnlicher Mix, den man hier erleben darf.

„Dear god in heaven, even these people can’t be that mad.“

Der Narr und die Gemeinde

Eine der größten Stärken des Films ist zudem der Cast, denn sämtliche Darsteller bringen ihre Figuren höchst glaubhaft und wunderbar charakterisiert rüber. Vor allem Edward Woodward geht gänzlich in seinem Sergeant Neil Howie auf. Tief im christlichen Glauben verwurzelt, so diszipliniert wie überzeugt von all seinem Tun und beinahe besessen auf der Suche nach der Wahrheit ist er das Zentrum und das Herz des Films. Christopher Lee hat sich nach dem Lesen des Drehbuchs schnell begeistert gezeigt für das Projekt und keinerlei Gage verlangt. Bewusst versuchte er sich damals auch von seinem Dracula-Image abzusetzen, mit dem er nach diversen Produktionen der Hammer-Studios nur allzu sehr assoziiert war. Sein Lord Summerisle ist so zuvorkommend wie selbstgefällig, aber letztlich auch sehr gefährlich und stellt praktisch den versteckten Antagonisten von Neil Howie dar. Beide Darsteller bezeichnen bis heute ihre Rollen in The Wicker Man als ihre Liebsten, trotz langer Karrieren danach, nicht zuletzt jene von Christopher Lee, der ja allgemein als Saruman aus Der Herr der Ringe bekannt sein dürfte.

Die aus Schweden stammende Britt Ekland, die im übrigen mit Peter Sellers verheiratet war, verkörpert in gelungener Weise die Inkarnation der Göttin der Liebe, die zudem in einer famosen Szene den berühmt gewordenen Willow’s Song performen darf. Auch der Rest der Darsteller bis zur letzten, kleinen, schrulligen Nebenrolle überzeugt und sie machen The Wicker Man auch erst richtig lebendig.

„That’s it. The crops failed.“

Kämpfe und Hasser

The Wicker Man hatte während seiner Entstehung mit einer Reihe von Problemen zu kämpfen. Das Budget war minimal, der Regisseur Robin Hardy unerfahren, die Crew teils zerstritten und zu allem Überfluss musste der Film, der eigentlich im Mai spielen sollte, im November gedreht werden, was eisige Kälte und einen Haufen mit künstlichen Blumen beklebter Bäume bedeutete. Noch schlimmer und beinahe der Todesstoß für das Werk waren unzufriedene Studiobosse, die The Wicker Man regelrecht hassten und ihn 1973 in einer verstümmelten und stark gekürzten Schnittfassung praktisch ohne Marketing in den Kinos veröffentlichten.

1979 bemühte man sich schließlich um einen Re-Release einer längeren und wie ursprünglich vom Regisseur geplanten Version, allerdings waren die Original-Negative der einst entfallenen Szenen unauffindbar (Gerüchte besagen, sie wären beim Bau einer Autobahn mit verscharrt worden) und so mussten diese von einer schlechten Kopie neu eingefügt werden (was man beim Betrachten der DVD deutlich merkt). Aber nunmehr waren Kritiker und Publikum gänzlich begeistert und der einst so geschmähte und beinahe verschollene Film wurde zum Kult-Klassiker des Horror-Genres.

„You simply never understand the true nature of sacrifice.“

Klänge aus alter Zeit

Die Musik von The Wicker Man muss wirklich besonders erwähnt werden. Sie ist nämlich ganz wunderbar gelungen, trägt sehr viel zur Atmosphäre bei und funktionieren als Musical-Einlagen prächtig. Paul Giovanni war als Kompositeur dafür verantwortlich. Traditionelles englisches Liedgut sowie neue Kompostionen und Arrangements sind im Film zu hören und noch mehr zu sehen, da Darsteller und Musiker in vielen Szenen die Stücke vortragen.

Besonders erwähnenswert ist hierbei ‚Willow’s Song‘, welcher mit einem erotischen Tanz von Britt Ekland für eine der Schlüsselszenen bestimmend ist. Diverse Bands haben diesen übrigens mehrfach gecovert. Zu ‚Sumer Is Icumen‘ In wird in der Schlussequenz getanzt und gesungen. Hierbei handelt es sich um das möglicherweise älteste englischsprachige Lied. Und die britischen Hardrocker der Band Iron Maiden ließen es sich freilich nicht nehmen einen ihrer Songs ‚The Wicker Man‘ zu betiteln…

„Come! It is time for your appointment with the Wicker Man.“

9 / 10

Fazit von Spenz

The Wicker Man ist für mich ein ganz wunderbar eigenwilliger und herrlich ungewöhnlicher Film, der gänzlich seinesgleichen sucht. Selten wo vermögen die Genres des Horror, Musicals und einer klassischen Detektiv-Geschichte so wunderbar stimmig zu funktionieren. Zudem lässt einen das subtile Gefühl einer ständigen unterschwellig vorherrschenden Gefahr nicht los und umso konsequenter und großartiger ist das Finale, welches mir alleine beim Gedanken daran die Gänsehaut aufziehen lässt. Die Darstellung einer in sich geschlossenen Gemeinschaft, die gänzlich verhaftet ist in einem paganistischen Weltbild, gelingt hier beinahe in beinahe brillanter Weise und wirkt umso verstörender im Kontrast zur Moderne. Die Atmosphäre ist insgesamt jedenfalls Triumph. Dass dabei auch noch die Darsteller und mindestens ebenso wenn nicht gar umso mehr die Musik sich gänzlich in den tollen Gesamteindruck einfügen ist natürlich ein großes Glück für dieses Werk, da es ja unter solch widrigen Umständen überhaupt das Licht der Kinosäle erblickte.

In manchen Szenen und mit gelegentlich aufdringlichen Weichzeichnern schrammt er in nur ganz wenigen Momenten zwar fast an der Lächerlichkeit vorbei, aber das verzeiht man ihm gerne. Auch kann ich mir leicht vorstellen, dass es reichlich Leute gibt, die bei nach der Beschauung gänzlich nichts anzufangen wissen damit und ihn möglicherweise sogar wenig leiden können, aber diese kann ich vermutlich auch nicht leiden. Wenn auch nicht vielleicht ganz Citizen Kane des Horror-Films, so ist The Wicker Man aber für mich in jedem Fall einer der besten britischen Filmwerke aller Zeiten.

PS: Über das Remake von 2006 mit Nicolas Cage in der Hauptrolle hüllen wir jetzt einfach mal den Mantel des Schweigens…

DVD-Extras:

In meinen glücklichen Händen halte ich die die englische Import-DVD-Version aus dem Jahre 2006, die die erste Fassung des Films aus dem Jahre 1973 auf der ersten Scheibe verewigt hat. Umso wichtiger die zweite Disc, wo der um bedeutende Szenen erweiterte Director’s Cut zu sehen ist, leider sind diese Sequenzen aber in bedeutend schlechterer Qualität, aber wig gesagt, da gab’s kein Original-Negativ mehr. Sehr schön sind auch zwei Dokus, in denen Cast und Crew ausführlich zu Wort kommen und womit man einiges an Verständnis für die Hintergründe der Produktion bekommt. Die Begeisterung der Beteiligten von annodazumals scheint nach wie vor ungebrochen. Ein paar Extras wie ein Fernseh-Interview aus den 70ern kommt ebenso noch hinzu, aber ganz besonders ans Herz des geneigten Schauers möchte ich das wunderbare Audiokommentar von Edward Woodward, Christopher Lee und Robert Hardy legen, denn hier wird man nicht nur wohl informiert, sondern bekommt auch noch viele witzige Anekdoten präsentiert. Last but NOT least ist noch eine CD des Soundtracks dabei und den hört man einfach und liebt ihn.

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