Twin Peaks ist Kult. Twin Peaks ist Kunstwerk. Twin Peaks ist der Anfang aller modernen Serien-Hits und definierte praktisch die Sehgewohnheiten des gemeinen Fernseh-Zuschauers neu. Von 1990 bis 1991 beschäftigte ganze Nationen von TV-Liebhabern nur eine Frage: Wer hat Laura Palmer getötet? Leider wurde die Frage etwas zu früh ja überhaupt beantwortet, aber dazu später mehr…
Der Meister hinter der Produktion ist, wie könnte es anders sein, David Lynch, welchen ich ja bereits hier mehrfach gehuldigt habe und es wohl noch oft genug tun werden. Ihm zur Seite stand in nicht minderer Weise Mark Frost. Beide erschufen die Serie Twin Peaks, produzierten sie, schrieben einen Gutteil der Drehbücher und Lynch führte freilich mehrfach Regie bei den insgesamt 29 Episoden (zu den üblichen 45 Minuten) in zwei Staffeln plus Pilot. 1992 gab es noch einen Kinofilm als Prequel, nämlich Twin Peaks: Fire Walk with Me.
Dieses faszinierende Universum in rot-orange beginnt als ‚einfache‘ Krimi-Serie (mit der klassischen Frage ‚who done it?‘), mischt aber mit jeder weiteren Episode weitere Elemente hinzu, wie Soap Opera (und persifliert diese gleichzeitig), Mystery, Horror, etwas Comedy und nicht zuletzt auch Traum-Symboliken und gänzlich Surreales. Dabei entwickelt Twin Peaks eine unglaubliche atmosphärische Dichte, hält einen mit immer neuen Offenbarungen und Cliffhangern auf Trab und lässt einen oft genug mit mehr Fragen als Antworten zurück.
„Laura had a lot of secrets.“
Irgendwo im Norden zwischen zwei Bergen…
An sich wäre es ja beinahe ein Sakrileg, nur allzu viel über die eigentliche Geschichte von Twin Peaks zu verraten und natürlich wäre es ein besonderes Verbrechen, interessierten und wohl geneigten zukünftigen Schauern hier und jetzt den wahren Mörder von Laura Palmer zu offenbaren. Der Ansatz der Haupthandlung und die grobe Zusammenfassung seien also nur mit milden Spoilern versetzt.
Das Drama beginnt am Wasser und der Tod ist in Plastik gehüllt. Im verschlafenen Städtchen Twin Peaks, welches an der amerikanisch-kanadischen Grenze liegt und von nur allzu dunklen Wäldern umgeben ist, wird die Leiche der ermordeten Laura Palmer aufgefunden. Der Verlust ist umso tragischer, da das junge, blonde Mädchen im ganzen Ort bekannt und beliebt war. Der FBI- Agent Dale Cooper wird zu den Ermittlungen des örtlichen Sheriff’s Departments hinzugezogen, nicht zuletzt weil ein Serientäter vermutet wird. Schnell wird klar, dass Laura Palmer mehr als ein dunkles Geheimnis verbarg und es scheint mehr als eine Person für das brutale Verbrechen verantwortlich. Überhaupt hat so gut wie jeder Bewohner ein Doppelleben und viele der Verstrickungen untereinander sind gefährlich, wenn nicht gar tödlich. Unter der Idylle von Twin Peaks offenbart sich ein nur allzu finsterer Abgrund, in dem sich auch Unheimliches, ja sogar uraltes Böses verbirgt.
„Harry, I have no idea where this will lead us, but I have a definite feeling it will be a place both wonderful and strange.“
One chants out between two worlds…
Twin Peaks kann man tatsächlich erleben. Nicht allein die Serie, sondern überhaupt den Ort, denn so dicht, so greifbar wird die Atmosphäre in den besten Momenten. Ein tiefrot-oranges Universum (einem speziellen Filmfilter sei Dank), die aus mehreren Genres und mehreren Wirklichkeiten gleichzeitig besteht. Es ist eine scheinbar heile Welt an der Oberfläche, unter der aber die schwärzesten Abgründe ständig brodeln, sowohl in menschlicher als auch in mythischer Hinsicht. Eine stete Dualität in allen Dingen, sowohl inhaltlich als auch formal (unter anderem in vielen Momenten genial gespiegelt in einer Serie in der Serie ‚Invitation to Love‘). Ein stetes Ying und Yang.
Zwei Lauras (blond und brünett… siehe auch Hitchcocks Vertigo und Lost Highway von Lynch), zwei Lodges und Doppelgänger. Das kleine verschlafene Städtchen einerseits, die unergründlich dunklen Wälder andererseits. Harmonisches Familienleben gegenüber perversen Auswüchsen von Sex und Gewalt. Der Glaube an Sicherheit und Liebe steht nicht zu benennenden Ängsten und dämonischen Mächten aus uralter Zeit gegenüber. Das Konstrukt einer logisch-physikalischen und sozialen Wirklichkeit wird immer mehr und mehr von einem paganistisch-subversivem Universum voller irrationaler Mächte zersetzt und regelrecht verschluckt. Es ist die Verführung und der Verlust der Unschuld. Das ist typisch Lynch und dieses Motiv zieht sich durch alle seine Werke. In sehr vergleichbarer Weise übrigens bereits 1986 mit dem Film Blue Velvet, wo nicht zuletzt auch Kyle MacLachlan (Agent Cooper in Twin Peaks) eine Hauptrolle gespielt hat.
Was als Beziehungs- und Intrigantenstadl mit einem Mörder unter uns beginnt, endet an Orten jenseits von Raum und Zeit und mit von Geistern korrumpierten und besessenen Menschen. Und immer wieder Rot: das Feuer, die Ampel, das Blut, der Fluss, der Raum…
„The owls are not what they seem.“
Figuren, die man nicht kennt und die man liebt…
Eigentlich menschelt es ja in Twin Peaks und zwar gewaltig. Sämtliche Figuren leiden, leben und lieben und zwar mit jeder Folge mehr. Auf den ersten Blick sind es vielleicht Klischees und Abziehbilder, aber oft genug selbst persifliert, dann wieder in sich glaubhaft und eine gewisse Entwicklung müssen sie alle durchmachen. Sie sind schrullig, sie sind verrückt, sie sind seltsam, aber vor allem sind sie sympathisch, selbst wenn die schlimmsten Geheimnisse ihrer offenbar stets vorhandenen Doppelleben hervorgekrochen kommen. Viele Leichen in vielen Kellern. Spätestens wenn sie zu Opfern werden, findet man sie doch nicht so übel.
Und natürlich über allen das absolute Opfer: Laura Palmer. Der totale McGuffin (ein berühmter Begriff von Hitchcock), der über allen Dingen schwebt und die Triebfeder für die meisten Handlungen ist. Sie ist voller Geheimnisse und voller Schattierungen, ein Engel und eine Hure zugleich. Die überhöhte Blondine, die verdorbene Unschuld, die alle begehren und gleichzeitig aber alle an eben genau diesem Begehren scheitern. Agent Cooper begibt sich auf ihre Spuren. Er verkörpert das Ideal, sowohl für seinen Berufsstand als auch für einen Mann. Immer korrekt, immer zuvorkommend. Liebt Kaffee und Kuchen. Handelt stets schnell und entschlossen, wenn es darauf ankommt. Ein moderner Sherlock Holmes, der wiewohl noch mehr auf seine Intuition und seine Träume vertraut. Und am schlimmen Anfang wie am schlimmen Ende: BOB…
„I am gonna write an epic poem about this pie.“
Ein Hype, etwas Handwerkliches und Darsteller-Karrieren…
Twin Peaks war mit der ersten Staffel und bis weit in die Zweite hinein ein Quotenhit und es bildete sich schnell ein großer Hype um die Serie während der Erstausstrahlung. Die Zuschauer war teils regelrecht besessen von der großen Frage, wer denn nun tatsächlich Laura Palmer getötet hat, was sogar soweit führte, dass Fans den Müll vor dem Studio durchsuchten um Hinweise zu finden. Es war einer der letzten wirklichen Straßenfeger in der TV-Geschichte. Twin Peaks hat aufgrund des Genre-Mix aus Soap Opera, Krimiserie und schließlich mit immer mehr Mystery-Elementen auf sehr clevere Weise ganz unterschiedliche Publikumsschichten angesprochen. Etwas Comedy zwischendurch ist freilich auch nie verkehrt. Dies ergab sich nicht zuletzt auch weil die Serie verschiedene Lesarten erlaubte, mehrere Meta-Ebenen hatte und sich unter einer sehr zugänglichen Oberfläche ein komplexer und substanzieller Unterbau befand.
Dabei ist Twin Peaks so zeitlos wie eigenständig. Für das Verständnis und die Machart von Serien generell war Twin Peaks auch überaus prägend. Erstmals wurden eher filmische Stilmittel eingesetzt was Kameraführung, Schnittfolge und dergleichen betraf. Das Geschehen spielt sich in visuell zurückhaltender Weise innerhalb des Frames ab. Überhaupt wurden erstmals vermehrt Regisseure und Drehbuchautoren, die ansonsten reichlich Erfahrung in Schaffen von Werken fürs Kino hatten, für eine TV-Produktion herangezogen. Der Einsatz von Musik, komponiert von genialen Meister und langjährigen künstlerischen Weggefährten von David Lynch Angelo Badalamenti, suchte bis dato auch seinesgleichen. Ganz generell hatten sämtliche kreativen Köpfe, die die Welt von Twin Peaks besonders im Verlauf der ersten Staffel kreierten, sehr viel Freiheit vom Studio bekommen, was auch äußerst ungewöhnlich war für damals. Umso mehr wurde experimentiert und neu ausprobiert. Anders gesagt: Twin Peaks war der große Wegbereiter für die heutige Serien-Landschaft. Die Einflüsse auf Akte X, Lost, True Blood oder überhaupt was Mystery ganz generell und wohl auch praktisch sämtliche HBO-Produktionen betrifft, sind überdeutlich.
Bezeichnend auch, wie viele heute bekannte und erfolgreiche Schauspieler aus Film und Fernsehen bei Twin Peaks ihre ersten größeren Auftritte in diversen Nebenrollen hatten: David Duchovny (Akte X… köstlich sein Auftritt als FBI-Agent), Heather Graham (Scrubs), Don S. Davis (Stargate), Ray Wise (Star Trek), Billy Zane (Titanic), Michael J. Anderson (Carnìvale) und noch der eine oder die andere, deren Gesichter einem gelegentlich unterkommen dürften… Sheryl Lee als Laura Palmer spielt höchst famos, aber ihre Karriere glänzte nach Twin Peaks leider nicht mehr so sehr. Aber natürlich steht über allen Kyle MacLachlan, der als FBI-Agent Dale Cooper vermutlich die Performance seiner Karriere abliefert (mit dem Golden Globe gekrönt) und nicht sympathischer und besser besetzt hätte sein können. Zuvor machte er in Dune (1984) und Blue Velvet (1986) unter der Regie von David Lynch auf sich aufmerksam und später ist er noch in zig Filmen und TV-Serien zu sehen (unter anderem Sex and the City und Desperate Housewives).
„What do you fear most in this world?‘ –‚The possibility, that love is not enough.“
Twin Peaks hat zehn Probleme…
Die zehn Probleme sind zehn Folgen, die die ansonsten so geniale und fantastische Serie Twin Peaks in ein Zwischentief fallen lassen. David Lynch und Mark Frost hatten nämlich nie geplant, den tatsächlichen Mörder von Laura Palmer preis zu geben. Das größte Geheimnis war natürlich in der Handlung auch der größte Triumph und der größte Antrieb. Aber wie sooft funkte das Studio dazwischen und die Sendeverantwortlichen drängten immer mehr darauf, als großen Knalleffekt den Killer zu verraten. Das passiert dann auch ziemlich genau in der Mitte der Serie, also nach einem Gutteil der zweiten Staffel (ich hüte mich jetzt davor, die genaue Folge zu nennen). Dies beschert Twin Peaks zwar meiner Meinung nach einen der besten Momente inklusive einer umwerfenden schauspielerischen Leistung (womit ich den ansonsten bösen Studiobossen doch auch fast dankbar bin), aber danach ist aus Twin Peaks die Luft draußen. Es gibt noch ein paar gelungene und nachvollziehbare Nachwehen in den nächsten ein bis zwei Episoden, aber ansonsten stürzt die Serie in ein tiefes qualitatives und inhaltliches Loch.
Irgendwie scheint es, als hätten die Drehbuchautoren nach der Offenbarung des großen Geheimnisses keine Ahnung gehabt, wie sie weiter machen sollten. Zudem sanken die Quoten und die zweite Staffel sollte auch die Letzte sein, was zum Zusammenquetschen von immer halbgareren und herum mäandernden Handlungssträngen führte. Außerdem waren die neuen Regisseure wohl auch schwer überfordert mit dem Genie des Lynch-Universums und die delikate Balance der vielen Genres und Elemente der Serie geht beinahe gänzlich flöten. Immer mehr neue Figuren werden hastig eingeführt und verschwinden aber fast ebenso schnell. Alles wirkt konfus, bemüht, beliebig, belanglos bis sogar langweilig. Freilich gibt es hier und da wieder einen guten Moment, einen schönen Einfall, aber die gehen schnell unter. Am schlimmsten ist Twin Peaks immer dann, wenn es zur reinen Soap Opera verkommt und genauso schlecht wird, wie all das, was es so zuvor so genial persifliert und intelligent gespiegelt hat.
Aber dem Fernseh-Göttern sei dank haben sich Lynch und Frost den letzten Folgen wieder besonders angenommen und die finalen drei Episoden suchen in vielem wieder Ihresgleichen und Twin Peaks bekommt einen würdigen, versöhnlichen und genial fantastischen Abschluss, der all die Wunder zusammenführt und gleichzeitig so viel offen lässt.
Fazit von Spenz
Twin Peaks ist für mich der Jupiter aller TV-Serien. Sie ist Kult, sie ist Kunstwerk und sie ist der große Wegbereiter für alles, was danach an Grandiosem im Fernsehen zu sehen war und ist. Der wilde Genre-Mix aus Soap Opera, Krimi, Mystery, Horror, etwas Comedy und surrealem Schaustück sucht seinesgleichen. Dabei entwickelt sie eine derartig dichte Atmosphäre und weiß gänzlich zu faszinieren. Die vielen Charaktere von Agent Cooper bis Laura Palmer bleiben einem noch lange in Gedächtnis und ein BOB lässt einen manchmal schlecht schlafen. Das gewaltig-mythische Lynch-Universum war nie zugänglicher und gleichzeitig selten eindringlicher. Ja, es gibt knappe zehn Folgen, die äußerst schwach bis richtig schlecht sind, aber da Twin Peaks am Ende doch noch die Kurve kratzt und in sich geschlossen wirkt (auch wenn man sich mindestens eine Staffel mehr und einen weit schöneren Verlauf insgesamt gewünscht hätte) mag man dies verzeihen. Twin Peaks ist eines jener seltenen Serien-Wunder, die einen in einen Rausch hinein kippen lassen können und bei der einem allein der Vorspann mit dieser wunderbaren Musik und den herrlichen Einstellungen den Tag verschönern. Wer auch nur ein wenig etwas für hohe Serienkunst übrig hat, der ist eigentlich dazu verpflichtet sich Twin Peaks in seiner Gänze zu Gemüte zu führen. In diesem Sinne: Fire Walk with Me…
DVD-Extras:
Twin Peaks gibt es inzwischen in mehreren Versionen auf DVD. Ich habe mir vor einigen Jahren die allererste Box der ersten Staffel (Pilot und 7 Folgen) gekauft, die 2002 erstmals auf den Markt kam. Diese ist äußerst zu empfehlen! Das DVD-Menü ist für mich bis heute das grafisch schönste und stimmungsvollste überhaupt. Zwar ist die Bildqualität besonders beim Pilotfilm wohl aufgrund des auch original nicht besonders guten Bildmaterials etwas mangelhaft (kein Vergleich zu heutigen HD-Serien), aber dies stört mich vergleichsweise wenig. Das Bonus-Material (inklusive einer Bonus-DVD) ist mit mehreren Audiokommentaren, Interviews der Darsteller und noch ein paar Extras sehr gelungen und rundet die erste Staffel wunderbar ab. Erst 2006 (!) erschien die zweite Staffel auf zwei DVD-Boxen aufgeteilt (man stelle sich bitte vor, wie lange ich auf die Auflösung der zig Cliffhanger nach dem Finale der ersten Staffel gewartet habe), aber diese enttäuscht mehrfach. Zwar sind Bild und Ton etwas besser, aber das Bonus-Material ist mit wenigen und kurzen Interviews sehr dürftig und das DVD-Menü ist zwar übersichtlich, aber kein künstlerischer Genuss für sich wie bei der ersten Staffel in der Version von 2002 (die man auch gut und gerne im finsteren Zimmer als Endlosschleife abspielen lassen kann). Die Gold Box Edition mit der gesamten Serie und dem Film Fire Walk with Me ist wohl sicherlich auch eine Empfehlung, wiewohl ich da die Aufmachung und die Extras nicht kenne.
PS: Weiterführendes Material aus Twin Peaks ist Das geheime Tagebuch von Laura Palmer. Jennifer Lynch, also die Tochter des Großmeisters David Lynch, hat es verfasst und ist für Fans in jedem Fall lesenswert.
PPS: Den Film Fire Walk with Me (zu deutsch: Twin Peaks – Der Film) sollte sich der geneigte Seher UNBEDINGT erst nach der Beschauung der kompletten Serie zu Gemüte führen, allein um sich das Geheimnis des wahren Mörders von Laura Palmer lange genug zu wahren. Aber ansonsten funktioniert er als Prequel ganz hervorragend.
Through the darkness of future past,
The magician longs to see
One chants out between two worlds:
Fire walk with me.
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