Michael Haneke ist wohl Europas höchst angesehener und zugleich umstrittenster Filmemacher. Nach zwanzig Jahren als Regisseur für das Kino, hat er sich seinen Platz im Pantheon der meist umjubelten aktiven Autoren verdient. Sein Film Benny’s Video (1992) schockte das Publikum mit seinem zurückhaltendem, antipsychologischem Portrait eines Teenagers, der ein junges Mädchen tötet, um zu sehen wie das denn so ist. Funny Games (1997) leitete eine heftige Debatte über die Grenzen und die Legitimität von Gewalt in Filmen ein. In seiner Gesamtheit hat Hanekes polemisches Programm versucht, die Kälte der westlichen Gesellschaft offenzulegen und Hollywoods heitere Art der Gewaltbehandlung herauszufordern.
Mit Einflüssen von Jean-Marie Straub, Michelangelo Antonio bis Robert Bresson haben seine letzten Werke eine Vielzahl an Auszeichnungen eingeheimst und Erfolge in Arthousekreisen gefeiert. Cache (2005) hat die Goldene Palme gewonnen und wurde von der Times zum ‚Film des Jahrzehnts‘ gewählt. Das weiße Band (2009) erhielt Oscar Nominierungen für die beste Kamera (Christian Berger) und den besten fremdsprachigen Film. Die Jubelchöre für sein aktuelles Werk Amour sollten wohl bereits bis in den letzten Winkel der Leserschaft durchgeklungen sein.
Mit seinem aktuellen Meisterwerk ist ihm übrigens ein ganz besonderes Kunststück gelungen, mit dessen Prestige sich zuvor erst drei Filme schmücken durften. Zusammen mit Crouching Tiger, Hidden Dragon, Z und La vita e bella ist Amour erst der vierte Film, der zugleich eine Nominierung für den besten fremdsprachigen Film als auch die Hauptkategorie, Bester Film, erhalten hat. Umso bitterer ist die Tatsache, dass Hanekes Frühwerk auch nach Jahren stetig steigendem Erfolges, außerhalb des deutschsprachigen und französischen Raumes, den meisten nur von Verweisen aktueller Rezensionen bekannt ist.
Hanekes fünf Oscarnominerungen für einen fremdsprachigen Film sind zwar kein Rekord (Ang Lees Crouching Tiger, Hidden Dragon erreichte sechs Nominierungen), doch wie auch immer der Abend des 24. Februars verlaufen wird, Michael Haneke hat sich seinen Platz in den Ruhmeshallen der Academy gesichert. Einen Überblick über seine ersten drei ebenso großartigen wie verstörenden Filme zu geben, schien mir daher unvermeidbar.
Benny’s Video (1992)
Es gibt da dieses bestimmte Gefühl wenn man einen Film von Michael Haneke ansieht. Es ist als ob jemand eiskaltes Wasser durch deine Eingeweide fließen lässt. Benny’s Video beginnt mit verschwommen Filmmaterial eines Schweines, dem das Bolzenschussgerät des Schlachters zum Verhängnis wird. Verstörende Bilder, denen weit schlimmere folgen: der junge Protagonist lädt eine Mädchenrunde ein, dreht seinen Camcorder an und lässt das Haus seiner Eltern kurzerhand zum Schlachthof werden. Es ist eine Art Horrorfilm, jedoch einer der dem Zuseher jeglichen Moment der Entspannung verweigert. Hanekes Auge sieht die Welt im Bann einer moralischen Eiszeit, und erschreckenderweise sind Bennys Eltern ebenso vergletschert wie ihr Sohn.
71 Fragmente einer Chronologie des Zufalls (1994)
Haneke ist ein Meister des zeitgenössischen Kinos. Wahrscheinlich der Meister. Mit dem Aussehen eines Christopher Lee: Turmhoch, mit brennenden Augen, grauer Mähne und der Stimme eines antiken Fagottes. Seine zweite Arbeit für das Kino ist ein Portrait über die willkürlichen Opfer eines bewaffneten Räubers im Teenageralter, der mit Benny die gläserne Loslösung gemein hat. Hanekes thematische Lunte lodert voran: Isolation, Gewalt, das mulmige Verlangen verrührt und befriedigt durch bewegte Bilder. Selbstnachahmung? Nein! Detailgetreue Wiedergabe der bestimmenden Ängste unserer Zeit.
Funny Games (1997)
Ein Ferienhaus am See, eine verwöhnte, spießbürgerliche Familie, zwei freundlich grinsende junge Männer die vorbei schauen, um sich eine Schachtel Eier auszuborgen – deren wahre Absichten jedoch an Metzgerei grenzen. Das erste Wort, das mir beim Ansehen einfiel: Provokation. Der Vater wird gefoltert, die Mutter gezwungen sich in Richtung Pistole zu entblößen, ihr kleiner Sohn wird mit der Schrottflinte exekutiert. Wenn sich das Blatt dann aber zu wenden scheint, friert Haneke das Bild ein und erzählt uns was wir denken: dass es gut tun würde, die Mörder ermordet zu sehen. Natürlich liegt er richtig. Doch mit dem was folgt, liefert er uns auf unvergleichlich brillante Art und Weise einen Schauermoment, der uns alles hinterfragen lässt, was uns das Kino an Horror- und Psychoelementen je geliefert hat.
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